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Von Klienten und Patienten

Hofbauer Stefan am 14.8.2014
Do 14 Aug Weitaus die meisten Klientinnen*) kommen in eine Psychotherapie oder Beratung, weil sie ein Problem oder Symptom los werden wollen. Das könnte etwa so klingen: "Ich habe einen Job, der mir Freude macht, eine Beziehung, die ich überaus befriedigend finde und keine Schulden. Wenn da bloß diese Panikattacken nicht wären!" Die Idee der Klientin ist dann meist, dass nur dieses eine Symptom beseitigt werden müsse und alles wäre wieder in Ordnung.

Diese Einstellung oder Haltung ist keine Frage der Intelligenz, sondern Folge einer völlig falschen "Erziehung" durch unser Gesundheitssystem. Ich möchte daher im folgenden zwei Personengruppen unterscheiden, nämlich die Gruppe der Patienten, die passiv Behandlung erwarten und die Gruppe der Klienten, die selbst etwas möchten und zumindest eine Idee davon haben, dass sie für ihre Schwierigkeiten und Symptome mitverantwortlich sind.

Auch im Falle somatischer Erkrankungen erwarten einige Patienten, dass ihr einziger Beitrag zu ihrer Gesundung das Bereithalten ihrer e-card ist und den Rest der Arzt erledigen würde. Viele Ärzte mögen diese Haltung sogar noch unterstützen, etwa wenn sie bei Rückenschmerzen Spritzen verabreichen und nicht einmal darauf hinweisen, dass Physiotherapie, mehr Sport, regelmäßige Gymnastik, um Fehlhaltungen vorzubeugen, Psychotherapie und gesündere Ernährung weitere Möglichkeiten sein könnten, die Rückenschmerzen zu therapieren.

Auch finanzielle Überlegungen mögen dabei eine Rolle spielen, schließlich verdient der Arzt mit so einer Spritze mehr als mit einer Überweisung zur Physiotherapie.

Der grundsätzliche Denkfehler hier ist, dass immer noch zwischen somatischen und psychischen Erkrankungen unterschieden wird. Eine Überzeugung, die meiner Meinung nach nicht nur falsch ist, sondern den Selbstheilungskräften und der Eigenverantwortung von Klienten sogar entgegen wirkt. Schon Erwin Ringel hat gesagt, es gäbe nur psychosomatische Erkrankungen und solche, von denen wir noch nicht wüssten, dass sie psychosomatisch seien.

Ich nehme hier gerne das Beispiel eines Beinbruchs, wo nahezu jeder sagen würde: "Aber das ist ja wohl wirklich rein somatisch." Aber ist das wahr? Um mir ein Bein zu brechen, brauche ich eine psychische Verfassung der Unachtsamkeit, der Übermüdung oder der Selbstüberschätzung. Und dann, wenn das Bein gebrochen ist, leide ich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch, z.B. wegen der Einschränkungen, die damit in meiner Bewegungsfreiheit einhergehen oder weil ich mir selbst leid tue.

Bei Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Darmbeschwerden, Herzproblemen, Asthma, etc. gilt es ohnehin längst als akzeptiert, dass hier auch eine starke psychische Komponente das Problem mit verursacht oder verschlimmert.

Psyche und Soma (Körper) sind eine Einheit und wirken auf vielfältige Art und Weise zusammen. Selbst bei Infektionskrankheiten ist seit den 1970-er Jahren bekannt, dass eine schlechte psychische Verfassung, wie etwa lang andauernder Stress oder Depression, unser Immunsystem beeinträchtigt. Damit wird der Körper anfälliger für alle möglichen Viren oder Bakterien, die unser Körper bei intaktem Immunsystem abzuwehren in der Lage wäre1.

Was geschieht, wenn ich nur die somatische Ebene (Beispiel: Rückenschmerzen mit Infiltration) behandle? Die Schmerzen werden für eine Zeitlang verschwinden und dann wieder kommen. In manchen Fällen mag auch ein Symptom verschwinden und dafür ein anderes entstehen. Solche Behandlung verursacht also immer wieder Kosten und löst für den Patienten nicht viel.

Jener therapeutischen oder ärztlichen Kundengruppe, die ich hier als Patienten bezeichnet habe, ist das aber egal, sie wollen nur ihre Schmerzen oder anderen Symptome so rasch als möglich los werden und nicht darüber nachdenken müssen, wodurch sie eventuell verursacht wurden.

Für die Klienten hingegen kann jede Krankheit oder Beeinträchtigung als Gelegenheit wahrgenommen werden, ihr gesamtes Leben zu überprüfen und notwendige Korrekturen vorzunehmen. Nicht nur ist ein Symptom ein Hinweis darauf, dass in unserem körperlich-psychischen System etwas nicht mehr im Gleichgewicht ist, es ist auch etwas, was wir – vermutlich unbewusst – selbst verursachen.

Und hier unterscheidet sich der (mündige) Klient vom (unmündigen) Patienten. Ersterer wird fragen: "Wie mache ich mir Panik?", "Wie verursache ich mir Kopfschmerzen?", "Was ist mein Beitrag zu diesen ständig wiederkehrenden Rückenschmerzen?" Letzterer wird zum Arzt oder Psychotherapeuten kommen mit der unausgesprochenen oder ausgesprochenen Forderung: "Machen Sie mich wieder gesund!"
Konsequenterweise müsste hier jeder Arzt oder Psychotherapeut antworten: "Das kann ich nicht, das können Sie nur selbst tun!"

Viele Patienten möchten aber genau das nicht hören.

Und hier sei kritisch angemerkt, dass die bereits viele Jahre anhaltende Diskussion um Kassenverträge für Psychotherapeuten diese Haltung wahrscheinlich noch fördert. Natürlich ist es wahr, dass einzelne Personen eine Psychotherapie benötigen, aber gleichzeitig so wenig verdienen, dass diese für sie nicht finanzierbar ist. Aber die seinerzeitige Forderung Sigmund Freuds, der Klient müsse die Therapie finanziell spüren, um das Gefühl zu haben, er würde selbst etwas zu seiner Gesundung beitragen, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen2. Vielleicht wären hier nach Einkommen gestaffelte Selbstbehalte, wie z.B. im Tiroler Krankenkassenmodell, eine geeignete Lösung?

Unabhängig von finanziellen Überlegungen ist es für jeden Berater oder Therapeuten eine Herausforderung, ihre Kunden zu Klienten zu machen, in dem Sinne, dass drei Gruppen von Personen in eine Therapie (ein Coaching, eine Beratung, etc.) kommen können, nämlich Besucher, Kläger und Kunden3.

Der Besucher hat gehört, dass Beratung oder Therapie gut sein sollen und schaut mal vorbei, ohne wirklich ein Anliegen zu haben. Der Kläger will in erster Linie jammern, vorallem über seine Mitmenschen und die schreckliche Umwelt da draußen. Und der Klient schließlich hat zumindest eine Ahnung, dass er selbst etwas mit seinen Problemen zu tun haben könnte, und will herausfinden, was.

Nur mit Klienten kann in einer Beratungssituation sinnvoll gearbeitet werden. Und es hängt von der Eingangsphase einer Therapie oder Beratung ab, ob es gelingt, Besucher oder Kläger zu Klienten zu machen, die ein Anliegen haben, das sie in sich selber verorten.

Die Einsicht des Klienten, dass es nicht ihn gibt plus ein ominöses ES des Symptoms, sondern dass er eine Ganzheit ist, die ein Symptom verursacht, ist der Beginn jeder Therapie. Die Spaltung zwischen Ich und Symptom ist eine Illusion. Ich bin es selbst, der dieses Symptom verursacht und ich bin hier, um herauszufinden, wie ich das mache. Der Therapeut hilft lediglich dabei.

Gesetzt den Fall 10% der Schwierigkeit eines Klienten ist seine eigene Verantwortung und 90% liegen in der Verantwortung der Umwelt, können wir in der Therapie dennoch nur an den 10% arbeiten, nicht aber an den 90%! Und meist ist der eigene Anteil, uneingestanden, wesentlich größer.

Der Klient, die Klientin, die in eine Therapie kommen, mit der Einsicht, dass kein Arzt oder Therapeut sie gesund machen kann, hat den halben Weg bereits hinter sich. Was ein guter Therapeut vermag, ist, Spiegel zu sein für unbewusste Muster, Fehlhaltungen und nicht mehr funktionierende Lösungsversuche, aber auch Geburtshelfer zu sein für noch nicht wahrgenommene Ressourcen, Potenziale und Selbstheilungsversuche. Er ist des Weiteren neutraler und aufmerksamer Beobachter für bisher unausgedrückte Lebendigkeit. Und nicht selten stellt sich heraus, dass gerade in der Kraft, die ein Symptom erzeugte, die Lebenskraft und Kreativität verborgen liegt, die auch zu einer Lösung führen kann.

*) gemeint sind immer Frauen und Männer.

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1) Ader, R., Cohen, N. (1975): Behaviorally conditioned immunosuppression. In: Psychosomatic medicine. Band 37, Nummer 4, S. 333–340.
2) Freud, S. (1913, 1999). Zur Einleitung der Behandlung. (Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse 1). In: Gesammelte Werke Bd. VIII, Reprint der Ausgabe von Imago Publishing Co. Ltd. von 1943. Fischer.
3) de Shazer, S. (2004). Der Dreh. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg.

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