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Die Sicherheits-Illusion

Hofbauer Stefan am 13.2.2015
Fr 13 Feb Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen. (Epiktet)

Fritz Perls soll einmal gesagt haben: „Wer eine Lebensversicherung abschließt IST schon tot!“ Er meinte damit, dass die Idee, das Leben versichern zu wollen uns bereits vom Strom des Lebens, von der Lebendigkeit abgetrennt hat. Sein auch gerne zitierter Satz: „Der gesunde Mensch hat keinen Charakter“, geht in die gleiche Richtung, wenn man ihn so versteht, dass der gesunde Mensch nicht berechenbar, sondern lebendig und spontan ist. Ein charaktervoller Mensch wäre dieser Definition zu Folge ein Mensch, der absolut berechenbar und immer gleich reagiert. Während ein lebendiger Mensch spontan, seinen Gefühlen, Gedanken und Empfindungen im HIER und JETZT gemäß reagiert und handelt.

In Zeiten von Terroranschlägen, wirtschaftlichen Krisen, hohen Arbeitslosenzahlen und tödlichen Seuchen wird das Bedürfnis nach Sicherheit bei den Menschen besonders groß. Noch mehr Überwachung, noch mehr staatliche Interventionen, ein perfekt funktionierendes Gesundheitssystem und immer mehr Versicherungen sollen garantieren, dass uns nichts passieren kann. Doch ist das überhaupt möglich? Alles Lebendige verändert sich unentwegt, der Versuch, es in immer engere Grenzen zu zwängen, tötet alles Lebendige in uns. Wir sind dann scheintote Zombies, die nichts mehr wagen, kein Risiko mehr eingehen, jeden kleinsten Konflikt mit dem Coach oder Psychologen besprechen und uns immer mehr in eine Scheinwelt totaler Sicherheit begeben.

In den letzten Jahren fällt mir auch auf, dass immer mehr Klientinnen und Klienten in psychologische Beratung oder Psychotherapie kommen mit dem impliziten oder ausgesprochenen Anliegen, perfekter zu funktionieren und am besten absolute Sicherheit in allen Dingen, die sie tun, zu erlangen. Wenn ich diesen Auftrag in die Sprache der Gestalttherapie übersetzen würde, so lautete er: „Bitte lieber Therapeut treibe mir alle Menschlichkeit aus!“

In gewisser Weise entspricht das natürlich dem Zeitgeist. Wir wollen heute alles immer exakter, immer technischer, immer wissenschaftlicher lösen. Am besten wird schon vor der Eröffnung eines Unternehmens eine Marktanalyse durchgeführt und ein komplett durchgeplantes Corporate Design festgelegt für jedwede Geschäftsunterlage, die Website, die Visitenkarten, das Firmenschild, etc. Wir vertrauen nicht mehr darauf, dass Dinge organisch wachsen, sich entwickeln. Und für Spontaneität, Intuition und Lebensfreude ist da kein Platz mehr.

Und eine derartige Haltung färbt auf die Menschen ab, die sich heute schlecht zu fühlen beginnen, wenn ihre Nase nicht perfekt ist, sie im Kontakt mit anderen Menschen nervös sind oder auch einmal feuchte Hände haben. Wo immer wir Menschliches, allzu Menschliches an uns entdecken, sind wir beunruhigt und konsultieren einen Coach, Psychologen, Psychotherapeuten, Energetiker oder was auch immer, um noch perfekter, noch sicherer zu werden.

Doch eine solche hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben! Wir können morgen schon tot sein oder unser Leben kann sich auf andere Weise grundlegend verändern. Es gibt keine Garantien, dass wir 90 Jahre alt werden und noch weniger Garantien gibt es, dass wir diese 90 Jahre in guter Gesundheit erleben werden. Brüche, Krisen und Veränderungen sind normal und zeigen letztendlich nur, dass wir lebendig sind.

Politisch wird jetzt (schon wieder) nach noch mehr Überwachung im Internet und im öffentlichen Raum gerufen. Vielen scheint es offenbar völlig egal zu sein, dass wir auf Schritt und Tritt überwacht werden, kein Telefonat mehr führen können, ohne dass es irgendwo aufgezeichnet wird und wir keinen Suchbegriff auf Google eingeben können, ohne dass damit persönliche und sogar Bewegungs-Profile von uns erstellt werden. Vielen scheint hier das Motto zu gelten: „Ich habe ja nichts zu verbergen.“ Aber wie sieht das aus, wenn sich die politische Situation ändert und wenn unsere politischen Überzeugungen plötzlich gefährlich werden? Oder noch naheliegender, wenn wir einen Menschen kennenlernen, uns verlieben, ohne zu wissen, dass dieser Mensch eine „dunkle Seite“ hat und sich in Terrornetzwerken bewegt? Und selbst, wenn all das nicht der Fall ist: wollen wir wirklich, dass amerikanische Großkonzerne alles über unserer Kaufgewohnheiten, unsere privaten Vorlieben und unsere persönlichen Kontakte wissen?

Und das alles als Preis für den sogenannten Kampf gegen den Terrorismus? Statistisch gesehen ist es überaus wahrscheinlich, dass wir bei einem Autounfall sterben oder an einer sogenannten Zivilisationskrankheit wie Herzinfarkt oder Krebs, vielleicht auch an einem neuen Virus, gegen den es kein Heilmittel gibt. Es ist jedoch über die Maßen unwahrscheinlich, dass wir bei einem Terrorangriff sterben werden.

Wie sehr wollen wir unsere Bürgerrechte, unsere Bewegungsfreiheit, unsere Lebendigkeit eigentlich noch einschränken lassen, um vielleicht (!) das Leben einiger weniger Menschen zu schützen?

Aus der Psychologie wissen wir, dass Menschen Risiken und Gefahren häufig verzerrt wahrnehmen und falsch einschätzen. So werden die Risiken durch den Klimawandel, durch das Rauchen oder ungesunde Ernährung häufig deutlich unterschätzt, während das Risiko eines Krieges oder eines Terroranschlages beträchtlich überschätzt wird. Es scheint hier, das zeigen Studien, eine systematische Fehleinschätzung zu geben. So werden etwa seltene (Unfall)Ereignisse tendenziell überschätzt, während alltägliche Gefahren (Autounfall, Rauchen, Arbeitsunfall…) deutlich unterschätzt werden. Kommt es tatsächlich zu einem Zwischenfall (Unfall, Flugzeugabsturz, Terroranschlag) werden die entsprechenden Gefahren von den Menschen deutlich bedrohlicher wahrgenommen als es tatsächlich der Fall ist. Freiwillig übernommene Risiken werden von Menschen ebenfalls als weniger bedrohlich eingeschätzt.

Aus der existenziellen Psychotherapie (Yalom, 2010) wissen wir, dass Menschen, die direkt mit dem Tod konfrontiert werden, also zum Beispiel, weil sie einen nahen Angehörigen verloren haben oder mit einer schwerwiegenden Diagnose konfrontiert werden, häufig lebendiger werden, spontaner, lebensfroher und das Leben mehr zu genießen lernen.

Gestalttherapeutisch formuliert könnten wir sagen: echte Gefahren, Ängste, auf die wir uns wirklich einlassen und die wir auch körperlich spüren sowie Konflikte, die wir mit Menschen austragen, machen uns lebendiger, authentischer und offener als phantasierte Gefahren, jahrelang nicht ausgetragene Konflikte und Ängste, die wir vorschnell durch Suchtverhalten oder illusionäre Sicherheiten abschneiden.

In diesem Sinne könnte es vielleicht auch sein, dass die jahrzehntelange Abwesenheit von Krieg in unserem Land die Menschen unentspannter, furchtsamer und paranoider macht. Ich hege den leisen Verdacht, dass Aggression und Gewalt ein Teil des Menschen sind, der eingestanden und angesehen werden will. Je weniger wir uns unserer eigenen Aggression bewusst sind, desto wahrscheinlich reagieren wir mit paranoiden Tendenzen und wollen uns nach allen Richtungen absichern.

Das Lebendige kennt jedoch keine Sicherheit. In einem poetischen Bild ließe sich das so ausdrücken: eine lebendige Blüte gibt sich einfach den Strahlen der Sonne hin und genießt. Schon im nächsten Moment kann ein Mensch auf sie treten oder ein Sturm sie in Stücke reißen. Soll sie deshalb sicherheitshalber nicht blühen?

Wollen wir denn Begegnungen und Partnerschaften generell vermeiden, nur weil wir verletzt werden könnten? Sollen wir nie wieder in ein Flugzeug steigen, nur weil es abstürzen könnte? Oder wollen wir nie wieder einen Fuß vor die Tür setzen, nur weil wir von einem Auto überfahren werden könnten oder uns den Fuß brechen könnten?

Selbstverständlich gibt es Risiken, die wir besser nicht eingehen. Wenn ich in einer dunklen Straße einer Gruppe betrunkener Skindheads begegne, werde ich mich auch hüten, sie zu beschimpfen. Und wenn ich Alkohol getrunken hätte, würde ich mich wohl nicht ans Steuer eines Autos setzen. Nichtsdestotrotz kann mich jederzeit der Tod ereilen und keine noch so hohe Lebensversicherung wird das verhindern können.

Politische, militärische, gesellschaftliche Sicherheit entsteht nicht dadurch, dass wir uns mehr Waffen zulegen, Überwachungsmaßnahmen verstärken und unsere Gefängnisse vergrößern. Sie entsteht vielmehr durch einen Prozess, den C.G. Jung einen alchemistischen Prozess genannt hätte, nämlich die Konfrontation mit unserer eigenen Dunkelheit. Sicherheit, Wandel und Veränderung kann, davon bin ich zutiefst überzeugt, nicht von oben verordnet werden, sondern nur durch kleine Veränderungen in uns allen entstehen.

In diesem Sinne ist das steigende und teilweise schon ins Unrealistische gehende Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen ein Hinweis auf eine tief sitzende Todesangst, die schließlich immer dazu neigt, zu einer Angst vor dem Leben zu werden. Manchmal bin ich versucht zu fragen: „Glauben Sie an ein Leben VOR dem Tod?“ Und wenn wir bedenken, wie viele Menschen ihr „richtiges“ Leben auf die Pension verschieben, ist diese Frage wohl gar nicht so abwegig.

Im Sinne der Gestalttherapie und Epiktets, den ich eingangs zitierte, entsteht subjektiv empfundene Sicherheit dadurch, dass wir mit Menschen und Situationen wirklich in Kontakt gehen. Je mehr wir jedoch den echten Kontakt vermeiden und uns dem allseits beliebten mind fucking hingeben, desto größer wird die Angst in uns werden.

Literatur

Yalom, Irvin D. (2010). Existenzielle Psychotherapie. EHP Verlag.


www.gestalttherapeut.com
Angst Gestalttherapie Sicherheit Sicherheitsbedürfnis Todesangst
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